Tauchsportgemeinschaft Wesel e.V.

Kurze Einführung in die Dekompressionstheorie

 

 Von Andreas Stramka TL3

Die Entwicklung und Forschung haben in den letzten Jahren zu neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Dekompression geführt. Im Folgenden möchte ich kurz die hauptsächlichen Un-terschiede zwischen den zurzeit aktuellen Modellen beschreiben.

Alle Rechenmodelle basieren auf der Erkenntnis, dass sich Gase in Flüssigkeiten, wie im Gasgesetz von Henry beschrieben, in Abhängigkeit von folgenden Faktoren lösen :

• Druck des Gases über der Flüssigkeit (Tauchtiefe)

• Temperatur der Flüssigkeit (Körpertemperatur)

• Einwirkzeit (Zeit der hyperbaren Exposition = Tauchzeit)

• Lösungsindex des Gases in der Flüssigkeit (un-terschiedliche Kompartimente / Gewebearten)

• Austauschfläche bzw. Oberfläche (Durchblutung)

(Vereinfachung : Menschliche Gewebe verhalten sich analog, da sie zu großen Teilen aus Wasser und Fetten aufgebaut sind)

Für Taucher hat dieser physikalische Zusammenhang nun diese Auswirkungen :

Je länger ein Tauchgang dauert und je tiefer er durchgeführt wird, desto größer ist die im Körper gelöste Gasmenge. Desto länger sind auch die der Dekompression dienende Austauchpausen. Für die Dekompression spielen dabei vor allem die so genannten „Inertgase“ eine Rolle, da sie nicht am Stoffwechselgeschehen des Organismus teilnehmen. Für Taucher, die Druckluft als Atemgas verwenden, ist dies das Inertgas „Stickstoff“.

Konventionelle Rechenmodelle gehen davon aus, dass die gesamte im Körper gespeicherte Gasmenge in gelöster Form vorliegt und jedes Gewebe eine bestimmte „Übersättigung“ toleriert. Wird diese „Übersättigungstoleranz“ überschritten, kommt es zur Bildung von Gasblasen. Die Übersättigungstoleranz ist abhängig vom Gewebetyp, der Gasspannung im Gewebe und vom Umgebungsdruck. Je größer nun die Differenz zwischen der Gasspannung im Gewebe und dem Umgebungsdruck ist, desto mehr Gas wird pro Zeiteinheit ausgetauscht. Ziel einer schnellen, effektiven Dekompression ist es folglich, den Druckunterschied so groß wie möglich zu machen d.h. in der Praxis so weit wie möglich aufzutauchen, um den Umgebungsdruck zu reduzieren. Bestimmend für die maximale Austauchtiefe sind dabei die nach Halbwertszeiten differenzierten Gewebearten. Man bezeichnet das für eine Austauchstufe bestimmende Gewebe im Rahmen der Dekotheorie als „führendes Gewebe“.
Zu den konventionellen Rechenmodellen gehören die von Bühlmann, Hahn, Haldane, Spencer usw.

An diesem Punkt setzt das von Dr. Wienke entwickelte RGBM (reduced gradient bubble model) an. Durch entsprechende Forschungen wurde festgestellt, dass Inertgase im Körper nicht nur in gelöster, sondern auch in freier Form, als Gasblasen vorliegen. Der Radius dieser Blasen liegt im Bereich von einigen tausendstel Millimetern. Aufgrund ihrer Größe rufen die Bläschen zwar keine pysiologischen Symptome hervor, haben jedoch folgende Auswirkungen :

• Gasbläschen neigen zur Zusammenlagerung und Bildung von größeren Blasen

• Blasen verlangsamen die Gasabgabe aus dem Körper und verzögern somit die Dekompression

Das RGBM berücksichtigt also neben dem gelösten Gas auch das Vorhandensein von Mikroblasen.

Hier kommt es zu anderen physikalischen Vorgängen als wir sie aus dem Gasgesetz von Henry ableiten können. Vereinfachend kann gesagt werden :

• Eine Blase wächst, wenn der Umgebungsdruck größer ist als der Druck innerhalb Blase, weil Gas in die Blase hineinströmt

• Eine Blase schrumpft, wenn der Druck in der Blase klei-ner ist als der Umgebungsdruck bzw. kleiner als die Gasspannung in der umgebenden Flüssigkeit / Gewebe

• Bei einer Reduktion des Umgebungsdruckes entstehen sofort Mikroblasen

Wird nun aufgetaucht, steigt die Gasspannung im Gewebe an. Folglich strömt Gas aus dem umgebenden Gewebe in die Blasen. Die Blasen werden größer.

Deshalb folgt eine RGBM Dekompressionsalgorithmus anderen Richtwerten als konventionelle Rechenmodelle.

1. Es werden tiefere Stops eingelegt, um ein vermehrtes Wachsen / Entstehen von Blasen zu verhindern.

2. Die Aufstiegsgeschwindigkeit ist auch aus großer Tiefe immer 10 m / min, da beim Aufstieg immer Mikroblasen entstehen.
Eine variable Aufstiegsrampe, die allein den Bedingungen des physikalischen Gesetzes von Boyle Mariotte entspricht, berücksichtigt nicht die physiologischen und blasenkinetischen Vorgänge und wird nicht angewandt.

3. Durch die tieferen Stops wird ein entstehen von Gasblasen verhindert, die Dekompression ist effektiver, oberflächennahe Deko Stops können in der Regel kürzer ausfallen.

Zusammenfassung
Gewebeüberspannungsorientierte Rechenmodelle gehen davon aus, dass die gesamte im Körper gespeicherte Gasmenge in gelöster Form vorliegt. Antriebskraft des Dekompressions-vorgangs ist allein der unterschiedliche Gasdruck (Gasspan-nung) zwischen dem Gewebe und dem im Kreislauf- bzw. Atmungssystem. Je größer dieser Druckunterschied ist, desto schneller geht der Gasaustausch von statten. Dies wird dadurch erreicht, dass bis auf eine maximale zulässige Austauch-tiefe aufgetaucht wird, um den Gasumgebungsdruck zu minimieren.

Gasblasenorientierte Rechenmodelle (RGBM) limitieren das Gasvolumen, das zur Bildung von Blasen führen kann, durch das Einhalten tieferer Stopps, bei denen der Druck innerhalb der Gasblase immer deutlich über dem im umgebenden Gewe-be gehalten wird. Folglich gelangt Gas aus der Blase in umge-bende Flüssigkeit und geht in Lösung. Die Dekompression ist dadurch erheblich effektiver als bei konventionellen Rechen-modellen. Durch die Berücksichtigung beider Zustandsformen von im Körper gespeichertem Gas (als gelöstes und als freies Gas) bietet das RGBM ein hohes Maß an Sicherheit und wird uns in Zukunft in der Tauchtheorie noch oft begegnen.

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letzte Änderung 2005-04-06