Dienstag, 13.09.2005
 

Die Axt im Walde

Es wird anfangs furchtbar aussehen, prophezeit Johan Bekhuis. (Fotos: Thorsten Lindekamp)

HOCHWASSERSCHUTZ / In der Millinger Waard werden vier Hektar gerodet, damit Hochwasser um zwei Zentimeter sinkt.

Fünfzig Jahre lang haben die Bäume ungestört in den Himmel wachsen können. Pappeln und Weiden, dicht umwuchert von Sträuchern, Gräsern und blühenden Disteln. Der Auwald in der Millinger Waard bei Kekerdom hat sich zu einer grünen Lunge am Rhein entwickelt. Wer hier spazieren geht, bekommt den Eindruck von einem Urwald am Niederrhein: Lianen hängen von den Pappeln herab, dichtes Schilf verengt die Wanderwege. Der Auwald bei Kekerdom ist ein artenreicher Naturraum, der jährlich von 150 000 Menschen zur Erholung aufgesucht wird. Jetzt, im September, werden vier Hektar des mühsam aufgeforsteten Auwaldes gerodet. Die niederländische Wasserbehörde Rijkswaterstaat hat errechnet, dass die dichte Vegetation bei Hochwasser zur Gefahr werden kann: Um zwei Zentimeter werde das Hochwasser höher ausfallen. Sagen die Spezialisten.

Prächtiger Artenreichtum

Ein guter Kenner des Auwaldes ist der Biologe Johan Bekhuis. Er arbeitet für die niederländische Umweltorganisation Stichting Ark und begleitet das Renaturierungsprojekt der Ward seit 1993. Er hat die Entwicklung in kleinen Schritten miterleben dürfen: Wie die einstigen kargen Tongruben nach und nach der Natur wieder zugeführt wurden, wie Wildpferde angesiedelt und Galloway-Rinder sich vermehrt haben. Nach jedem Hochwasser hat der Artenreichtum zugenommen. Durch das Rheinwasser verbreiten sich die Pflanzensamen über Weiden, Heide und den Auwald.

Vier Hektar Wald werden gerodet und einige Dämme entfernt. Vor allem Pappeln und Silberweiden, die hier seit 1950 ihren festen Platz haben, werden weichen. "Es wird anfangs furchtbar aussehen", sagt Bekhuis.

Einen 80-Meter-Streifen werden die Bagger durch den Auwald ziehen, um später eine Nebenrinne schaffen zu können und dem Wasser so mehr Raum zu lassen. So wird bei Hochwasser eine Insel im Rhein entstehen, auf der zurzeit eine Ziegelfabrik steht. "Das ist noch ein Problem. Es laufen Gespräche, um die Fabrik ganz aus der Heide zu holen", sagt Biologe Bekhuis. Er trauert dem Auwald nicht nach, denn er weiß, dass der Lebensraum von neuen Pflanzen und Tieren erobert wird. Die Naturschützer nennen das "zyklische Verjüngung": "Wir müssen eine Entscheidung zwischen Natur- und Hochwasserschutz treffen. Und dann gilt es den Stau des Flusses aufzuheben. Wir verlieren vier Hektar Auwald, aber wir gewinnen 100 Hektar Natur. Wir können uns das jetzt auch leisten. Nicht jede Aue ist das wichtigste Naturschutzgebiet in Holland", sagt Bekhuis.

Zu viel Druck auf Deiche

Dass Auwälder eine Gefahr bilden können, wird in den Niederlanden erst seit kurzem diskutiert. Auwälder galten lange Zeit als Hochwasserschutz für Unterlieger, weil durch die Vegetation das Wasser gehalten wird. Die niederländische Wasserbehörde Rijkswaterstaat sagt jetzt, dass bei extremen Hochwassern, wie 1993, 1995 und 1998 zu viel Wasser vom Auwald gestaut und dadurch mehr Druck auf die Deiche ausgeübt wird. Dies könnte zu Deichbrüchen führen.

Aber kann man wirklich Hochwasser-Berechnungen bis auf zwei Zentimeter anstellen? "Die Leute in Kekerdom verstehen das nicht", sagt Bekhuis. Sie sähen den enormen Naturverlust. Gleichwohl wären sie froh, dass sich mit einer konzentrierten Rodungsaktion die Sicherheit gewährleisten ließe.

Der Auwald hat sich zu einem sehr gut angenommenen touristischen Ausflugsziel entwickelt - die Millinger Waard ist heute eines der wichtigsten und bekanntesten Naturschutzgebiete in den Niederlanden. Die imposanten Bauten der neun Biberfamilien, die in der Millinger Waard leben, sollen von der Rodungsaktion ausgespart bleiben. Die Biber, so etwas wie die natürlichen Förster des Auwaldes, "werden auch weiterhin genügend Bäume zum Nagen haben", sagt Bekhuis.


13.09.2005     ANDREAS GEBBINK

Zeitungsverlag Niederrhein GmbH & Co. Essen Kommanditgesellschaft